Wut tut gut – aber sie hilft Nix!

Denn ein Unglück kommt meist aus dem Nichts. Wir sehen es nicht kommen und es verändert unser ganzes Leben. Aber genau das ist das Leben. Dass Dinge passieren, die wir so nicht wollen würden. Es kann der Partner gehen, obwohl doch alles so harmonisch war. Oder eine schwere Krankheit kommt aus dem Nichts, obwohl wir uns doch um unsere Gesundheit kümmern.
Oder aber der vermeintlich sichere Arbeitgeber braucht dich nicht mehr, obwohl Du doch alles gegeben hast.

Was ist zu tun, wenn nichts mehr ist, wie es vorher war.

Die meisten haben bestimmt schon von den vier oder fünf oder sieben Phasen der Trauer gehört.
Ich nehme hier mal die vier Phasen der Trauer nach Verena Kast:
1) Nicht wahrhaben wollen, also totale Verleugnung. Das kann doch nicht passieren. Das ist doch völlig unmöglich, dass das jetzt eintrifft.
2) Aufbrechen der Emotionen. Hier ist also von der Wut und der Aggression die Rede. Die sind schuld, warum haben sie nicht, warum passiert mir das, und so weiter?
3) Suchen und sich Trennen. Hier geht es also darum, was muss jetzt kommen, wie kann es weitergehen, was lasse ich hinter mir?
4) Neuer Selbst- und Welt-Bezug. Hier wird man sich seines Platzes bewusst und findet auch Gutes in dem neuen Leben und richtet sich so allmählich darin ein.

Diese Phasen dauern je nach Mensch und Emotionen und Drama unterschiedlich lange.

Allerdings bin ich überzeugt, dass man diese Phasen auch beschleunigen kann, manchmal auch muss. Damit man die Weichen richtig stellen kann.

So hat es Susanne geschafft aus der Opferrolle heraus zu kommen

Susanne kam zu mir ins Coaching. Sie würde wohl ihren Job verlieren, weil es der Firma wirtschaftlich schlecht ging. Die Aufgabe hatte sie begeistert und sie hatte sich über viele Jahre richtig ins Zeug gelegt. Sie war voller Wut und Bitterkeit und Angst.

Raus mit der Wutdie schwarze Brille

Ich gab Susanne eine schwarze Brille und bat sie alles Negative auszudrücken. Die Methode heißt „expressives Schreiben“ und geht folgendermaßen: Genau 20 Minuten lang (Wecker stellen) alles rausschreiben, was sie an der Situation wütend macht; mit der Hand schreiben, ohne absetzen. Der Stift sollte immer in Bewegung sein und sein können, also einen geeigneten Stift suchen. 20 Minuten sind ganz schön lange, wenn man sie aushalten muss. Der Effekt dabei: man kommt an immer tiefere Schichten heran. Wenn nach den 20 Minuten immer noch viel raus muss, dann noch mal 20 Minuten auf die gleiche Art und Weise weiterschreiben. Also beherzt raus mit der Wut aufs Blatt Papier.

    Als Susanne auf diese Art und Weise ihre Wut heraus geschrieben hatte, sie also „entwütet“ war, schlug ich ihr vor, mit dem Geschriebenen an ihren Lieblingsplatz zu gehen und es dort mit einem kleinen Ritual zu verbrennen.

    Sie sah sehr zweifelnd aus „das ist doch Vodoo“ meinte sie. „Kann schon sein“, sagte ich, „aber wenn es hilft?“

    Die rosa Brille – das Gute würdigen

    Bei der nächsten Sitzung kam sie und meinte: „Raus mit der Wut, ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert. Aber sie ist wirklich verraucht, sie ist weg. Ich bin zwar noch verwirrt, aber nicht mehr gefangen in dieser Emotion.“

    Jetzt ging unser Blick in eine ganz andere Richtung. Ich setzte ihr eine rosa Brille auf und sie sollte den Blick auf das Gute richten. Ich frage sie:

    • Überleg mal, was und wie du dort sein durftest?
    • Welche Werte konntest Du leben?
    • Was durftest Du lernen?
    • Wie konntest Du Dich zeigen, beweisen, entwickeln?
    • Welche Ziele hast du erreicht?
    • Was hatte das alles für eine Wirkung auf Dein Leben, auf Dein Privatleben?

    Wir unterhielten uns lange. Susanne dachte nach, sammelte sich, murmelte vor sich hin und folgte dem einen oder anderen Gedanken.
    Es fiel ihr anfangs schwer, das Gute zu würdigen. Immer wieder erinnerte ich sie an die Rosa Brille.
    Sie lächelte, erzählte Anekdoten, Erkenntnisse und Erfolge.

    Sie staunte, was da alles zusammen kam. Dinge, über die sie nie richtig nachgedacht hatte, kamen da zum Vorschein und sie stellte fest, dass es ein großes Geschenk war, dort zu arbeiten – weil sie wachsen durfte.

    Das Fernglas – wie geht es weiter?

    Beim dritten Termin reichte ich Susanne ein Fernglas und fragte sie, was sie denn in ihrem Arbeitsleben und Privatleben in Zukunft mehr oder weniger sehen wollte?
    Was war ihr als besonders wertvoll und erstrebenswert und was war ihr als „das-will-ich-nicht-mehr“ im Gedächtnis geblieben?

    Das konnte Susanne relativ schnell beantworten, denn sie hatte sich ja Zeit genommen und ausführlich die guten Dinge herausgefunden. Es lag vor ihr. Und mit der Idee, was Susanne mehr oder gar nicht mehr wollte, klärte sich auch ihr Blick, wie und wohin es für sie weiter gehen könnte. Diese erste Idee half ihr, für sich die Weichen richtig zu stellen.

    Jeder, der es schafft, sich von der Wut zu befreien, sitzt wieder auf dem Fahrersitz des Lebens. Und kann aus dieser Position heraus, die richtigen Entscheidungen treffen.

    Menschen, denen es schwer fällt auf den Fahrersitz zu klettern, sollten sich Unterstützung suchen. Bei Zahnschmerzen geht man ja auch zum Zahnarzt, bei Seelenschmerzen hilft ein Psychologe oder Coach sehr zielgerichtet, lösungsorientiert und schnell. Und am Ende – nach aller Wut und Trauer – konnte Susanne sagen:

    Ein Mensch bleibt stehen und schaut zurück und sieht, das Unglück war sein Glück.

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